Menü
03.03.22 –
Die seit dem letzten Jahr plötzlich rasant gewachsene globale Energiekrise wird jetzt durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine in allen Dimensionen sichtbar und zusätzlich massiv angefacht.
Fossile und atomare Gedankenwelten
Hilflos stehen viele Politiker*innen, Manager*innen und Medien vor den immer schneller steigenden Energiepreisen und finden keinen echten Ausweg. Unbelehrbar suchen sie Lösungsansätze in den gleichen fossilen und atomaren Denkmustern, die uns in den letzten Jahrzehnten immer tiefer in die zentralen Krisen der Welt geführt haben: Krieg, Erdüberhitzung, atomare Aufrüstung und Bedrohung. Und sie sehen nicht, dass sie selbst es waren, die genau mit der Be- und Verhinderung eines rasanten Ausbaus der Erneuerbaren Energien die Welt in die nun fast unbeherrschbare Krisensituation gebracht haben.
Importstopp russischer Energielieferungen
Natürlich ist es das Gebot der Stunde, am besten mit einem Sofortboykott der russischen Energielieferungen, die Finanzierung des russischen Kriegs schnell zu schwächen. Doch genau dies gelingt in der EU nicht, weil die EU abhängig ist von Russlands Energie. So hat sich gestern die Slowakei über das Flugverbot russischer Flugzeuge hinweggesetzt und neue Brennelemente für ihre Atomkraftwerke per Flugzeug aus Russland bekommen. Auch die ungarische Regierung hat gerade verkündet, dass sie weiterhin am Neubau des Atomkraftwerkes mit der russischen Firma Rosatom festhalten will, was Russland erneut mindestens 12 Milliarden Euro Einnahmen bringen wird.
Rasanter Ausbau Erneuerbarer Energien zur Überwindung der Energieabhängigkeiten
Die russische Energieabhängigkeit kann ausschließlich mit einem rasanten Ausbau der Erneuerbaren Energien überwunden werden. Solange wir auf dem Weg zu einer Vollversorgung mit 100% Erneuerbaren Energien dann noch Versorgungslücken haben, sind außerdem auch ernsthafte und einschneidende Energieeinsparmaßnahmen erforderlich. Solche hatte es ja 1973 bei dem durch den Jom Kippur Krieg ausgelösten OPEC Öllieferboykott bereits gegeben. Ohne großes Murren hat damals die Bevölkerung drastische Einschnitte, wie Sonntagsfahrverbote für Autos, mitgetragen.
Immerhin gibt es doch manche Kehrtwenden in den Denkweisen. Bemerkenswert ist die von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Obwohl Hermann Scheer, ich selbst und viele andere dies schon seit über 30 Jahren betonen, ist seine neueste Erkenntnis doch bemerkenswert: „Erneuerbare Energien leisten nämlich nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit und Versorgung“, sagte er am Sonntag bei einer Sondersitzung des Bundestags. „Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.“
Die Unbelehrbaren
Unbelehrbar dagegen sein FDP-Kollege NRW-Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart, der kürzlich die Überprüfung des Kohle- und Atomausstiegs forderte. Ein ähnliches Maß an Unbelehrbarkeit zeigt auch der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Unverhohlen hat er die nächste Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gefordert. Von einer Abschaffung der 10H-Regelung in Bayern, die der Hauptgrund der Windkraftausbaublockade ist, war nichts von ihm zu hören. Sein CDU-Vorstandskollege Friedrich Merz bläst schon seit Wochen in das atomare Horn. Auch der Ministerpräsident Brandenburgs, Dietmar Woidtke (SPD) will den im Koalitionsvertrag festgelegten Kohlausstieg 2030 überprüfen. Kanzler Olaf Scholz hat im Bundestag gar den Neubau von LNG-Erdgas-Terminals angekündigt.
Alles Forderungen der Unbelehrbaren, deren Gedanken meist nur im atomaren und fossilen Energiesystem kreisen und die sich nicht vorstellen können, dass 100% Erneuerbare Energien nicht nur möglich, sondern auch schnell und kostengünstig umsetzbar sind. Dabei wird doch immer offensichtlicher, dass das alte fossile und atomare Energiesystem überall massiv im Zusammenbruch ist und deshalb ungeheuerliche Energiekosten produziert, die man nur mit Erneuerbaren Energien auffangen kann.
Massiv steigende Ölpreise
So ist der Ölpreis alleine gestern um 10 Dollar auf 110 Dollar/Barrel hochgeschossen. Eine Preisexplosion, die historisch extrem ist und die Befürchtung weckt, dass der Ölpreis bald auf über 150 Dollar steigen wird. Wie die Analystenseite Tecson gestern, am 2. März 2022, berichtete, kauft russisches Öl nun niemand mehr. Die großen Ölkonzerne ziehen sich alle aus ihren Russlandgeschäften zurück. Es ist gut und richtig, dass die westlichen Ölkonzerne nicht mehr mit Rosneft, Lukoil und anderen russischen Ölkonzernen Geschäfte machen. Doch für die Ölversorgung ist das ein Schock, den es nun ganz schnell mit Energieeinsparung und dem Ausbau Erneuerbarer Energien aufzufangen gilt.
Einer der wichtigsten Manager*innen der russischen Öl- und Gaswirtschaft ist Ex-Kanzler Schröder. Als Putins „Männerfreund“ hat er ihn bis heute nicht zum Rückzug der russischen Truppen und zum Ende des Krieges aufgefordert. Stattdessen verdiente er und verdient er noch immer sein großes Geld mit den russischen Energieverkäufen, die letztendlich Putins Kriegswirtschaft mit Billionen Euros finanzierte. Warum ist er eigentlich noch nicht mit US- und EU Sanktionen belegt, wie andere Manager*innen der russischen Energiewirtschaft?
Alle Versuche, die Verbraucher*innen mit Steuererleichterungen oder Finanzspritzen für energieintensive Unternehmen zu entlasten, sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mit solchen Vorschlägen aus der energiepolitischen Mottenkiste lassen sich die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Energiepreissteigerungen jedenfalls nicht lösen.
Verknappung der Ölverfügbarkeit
Auch nicht mit einer Diversifizierung von Öleinkaufen auf den Weltmärkten anderer Ölstaaten, denn auch hier gibt es Knappheit, worauf schon länger hingewiesen wurde. So kann die OPEC mitsamt ihres größten Ölproduzenten Saudi-Arabien schon seit Monaten die mehrfach angekündigte Fördersteigerung nicht umsetzen. Das Fördermaximum (peak oil) der OPEC ist erreicht. Zudem wäre auch ohnehin nicht zu verantworten, dass wir nun russische Öllieferungen durch saudische ersetzen und damit die saudische Kriegsmaschinerie im furchtbaren Krieg im Jemen unterstützen.
Längst schlägt „peak oil“ zu und verknappt das Ölangebot auf der Erde. Eine Verknappung, die nun durch den Russlandkrieg noch massiv verschärft wird. Gewarnt hatte die Energy Watch Group davor seit ihrer Gründung, war jedoch einsame Rufende in der Wüste der fossilen Energiewirtschaft. Die relativ niedrigen Ölpreise von 2014 bis 2020 haben das Problem überdeckt, jedoch nicht aus der Welt geschafft.
Gut nachzulesen sind die Warnungen vor den Auswirkungen einer Verknappung der Ölverfügbarkeit im Autorenpapier, welches ich mit den heutigen Staatssekretär MdB Oliver Krischer 2013 verfasst hatte.
Unbelehrbarkeit trotz sichtbarer zerstörerischer Konsequenzen der Erdüberhitzung
Jetzt hat auch noch der Weltklimarat mit seinem neuesten Bericht eindringlicher denn je gewarnt, dass die Hälfte der Menschheit schon heute hochgradig durch Katastrophen gefährdet ist. Das Zeitfenster, in dem die Menschheit noch gegensteuern kann, beginnt sich zu schließen.
Wir haben doch im Sommer im Ahrtal gesehen, was Erdaufheizung bedeutet. Die Schäden dort sind so katastrophal gewesen wie in einem Krieg, der Wiederaufbau lange noch nicht beendet. Wer gerade an die Ostküste Australiens schaut, sieht dort ebenfalls massive Zerstörungen wie in Kriegsgebieten, hervorgerufen durch schlimmste Starkregenfälle.
Wie kann man nur so unbelehrbar sein, wie Pinkwart, Woidke, Scholz und viele andere, die nun glauben, man könnte mit schmutzigem Frackinggas aus den USA oder schmutziger Kohle aus Deutschland die Energiekrise abmildern. Die Erdüberhitzung wird uns alle der menschlichen Zivilisation berauben. Wohl nicht so schnell, wie es im russischen Angriffskrieg gerade die Ukrainer*innen schmerzhaft erleben müssen, dafür aber unaufhaltsam und ab einem bestimmten Zeitpunkt, den der Weltklimarat sehr nahe sieht, unumkehrbar. Mit der Natur werden wir dann keine Friedensverhandlungen mehr führen können, um den von den Menschen selbst angefachten den Krieg der Erdüberhitzung gegen die Menschheit zu stoppen.
Atomkraftwerke als unbeherrschbare Bedrohung in Kriegen
Und sehen denn die unbelehrbaren Atomleute, wie Söder, Merz, Pinkwart und viele andere nicht, wie gerade im Krieg die Atomkraftwerke zu einer unbeherrschbaren Bedrohung werden können? Schon vor 40 Jahren war eines der wesentlichen, von uns Antiatombewegten vorgetragenen Argumente, dass in Kriegswirren Atomkraftwerke beabsichtigt oder unbeabsichtigt so zerstört werden könnten, dass ein Supergau verursacht werden könnte. Nun sind die 15 Atomreaktoren in der Ukraine mitten im Krieg. Tschernobyl ist schon von russischen Soldaten besetzt worden und gestern auch ein weiterer großer Atomkomplex.
Sogar der atomfreundliche Generaldirektor Grossi der IAEA in Wien warnt: Die Lage ist in der Ukraine beispiellos. Gefahren sind hierbei, dass erschöpftes oder geflüchtetes Personal nicht mehr für den sicheren Betrieb sorgen kann, dass Irrläuferraketen oder abgeschossene Flugzeuge einen Supergau auslösen oder, dass Terroristen in den Kriegswirren ihr Unwesen treiben. Auch bei uns steigt die Terrorgefahr durch den Krieg in der Ukraine.
Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren statt Atomrenaissance
Europa steht in der Ukraine im Krieg. Was es braucht, ist eine Kriegswirtschaft, die genau jetzt mit höchster Geschwindigkeit den Ausbau der Erneuerbaren Energien befördert. Nur Erneuerbare Energien können uns aus der russischen Energieabhängigkeit herausführen, können uns kostengünstige und sichere Energie ohne weitere Klimazerstörung oder Atomsupergaus liefern. Christian Breyer, wissenschaftlicher Chairman der EWG hat dies hervorragend in seinem Interview mit dem PV Magazin dargelegt. Auch in der Zeitung „Die Welt“ beschreibt EWG-Board-Member David Wortmann mit Kira Vinke von der DGAP Ähnliches in einem Gastkommentar sehr deutlich: Ausgerechnet jetzt wieder nach Atomkraft zu rufen, ist ein Denkfehler.
Diese Denkfehler der Unbelehrbaren, die seit Jahrzehnten nur in fossiler und atomarer Energieversorgung denken, statt endlich den Turbo für den Ausbau der Erneuerbaren Energien mit anzustoßen, sind dieser Tage präsenter denn je.
Wann wohl lernen die großen Politiker*innen, Medien und Manager*innen durch diese bittere Lektion der letzten Tage und beginnen, vernetzt zu denken?
Hammelburg, 3. März 2022,
Ihr Hans-Josef Fell
Gedenktage für negative Ereignisse sind wichtig, da unser Gedächtnis diese gerne verdrängt. Sie bieten jedoch die Chance daraus zu lernen. Gleichwohl setzen diejenigen, [...]
MehrÜber 40 Jahre ist es nun her, aber die Politiker weltweit haben nichts gelernt - weil sie selbst nicht betroffen waren - und in Deutschland brauchte es erst die [...]
MehrDie Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hat Westeuropa unvorbereitet getroffen. Sie zeigte, dass wir noch nicht einmal für eine zivile Beeinträchtigung durch atomare [...]
MehrGedenktage für negative Ereignisse sind wichtig, da unser Gedächtnis diese gerne verdrängt. Sie bieten jedoch die Chance daraus zu lernen. Gleichwohl setzen diejenigen, [...]
MehrÜber 40 Jahre ist es nun her, aber die Politiker weltweit haben nichts gelernt - weil sie selbst nicht betroffen waren - und in Deutschland brauchte es erst die [...]
MehrDie Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hat Westeuropa unvorbereitet getroffen. Sie zeigte, dass wir noch nicht einmal für eine zivile Beeinträchtigung durch atomare [...]
Mehr